Rede von Pfr. Dr. theol. Samuel Lutz, Synodalratspräsident
des Synodalverbandes der Reformierten Kirchen Bern-Jura
anlässlich der Informationsveranstaltung "Zukunft der
Kirche - Kirche der Zukunft - Perspektiven für die reformierte
Kirche im Kanton Solothurn" in Langendorf am16. Mai 2001
Werte Damen und Herren
Als ob wir darüber zu befinden hätten, was wir Menschen als
Kirche wollen? Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe
euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht
bringt und eure Frucht bleibt, und an dieser Frucht wird man uns
erkennen, und nicht an unseren Vorstellungen über die Kirche,
oder unseren Visionen und Träumen, oder gar unserem Willen und
Unwillen, was die Kirche ist und aus der Kirche wird.
Es wird über die Kirche der Zukunft deshalb letztlich auch nicht
an der Urne entschieden, sondern zur Rechten Gottes, des Vaters.
Denn von dort her kommt der Auftrag, und das Wesen der Kirche ist
von ihrem Auftrag nicht zu trennen: Mir ist gegeben alle Gewalt
im Himmel und auf Erden, darum gehet hin! Und ich werde bei euch
sein bis ans Ende der Welt, örtlich und zeitlich.
Je nach dem, ob die Kirche ihren Auftrag erfüllt, und wie sie
das macht, ist sie heute und morgen mehr oder weniger die Kirche
Jesu Christi.
Wie lautet dieser Auftrag, la mission de l'Eglise, ihre Sendung,
ihr Sinn und was der Wille Gottes ist?
Seit 2000 Jahren Christentum, ja bereits bei den Propheten,
jedenfalls nicht erst heute und auch nicht erst in 20 Jahren, ist
in der ganzen Christenheit, bei uns Reformierten, aber auch in
der Nebenkapelle bei den Katholiken, bei den Orthodoxen, bei
Methodisten, Presbyterianern, Lutheranern und Baptisten, in
Europa, Amerika, Afrika und Asien, überall und immer wieder ist
begriffen worden, dass wir einen dreifachen Auftrag haben, nämlich:
Die Verkündigung, Maryria
Die Gemeinschaft, Koinonia, und
die Dienst, Diakonia.
Weder kann man Verkündigung, Gemeindeaufbau und Diakonie
voneinander trennen, noch gegeneinander ausspielen noch dürfte
man auf auch nur eines der drei verzichten.
[1.] Die Verkündigung
Die Kirche hat von ihrem Herrn den Auftrag, allem Volk in Kirche
und Welt die frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen.
Ob sie das macht, hängt nicht davon ab, wie fleissig gepredigt
wird, sondern wie gut und wie verständlich und wie gehaltvoll.
Es hängt auch nicht davon ab, wieviele Katechtinnen und
Katecheten es gibt, sondern ob die Katechese Kinder und
Jugendliche nicht nur beschäftigt, sondern begleitet. Schon gar
nicht hängt die Verkündigung davon ab, ob die Pfarrer vom Staat
bezahlt sind oder von der Kirche oder der Kirchgemeinde, also
nicht von Strukturen, Budgets, Finanz- und Lehrplänen, sondern
an der Wirkung dieser Verkündigung.
Man spürt uns das Evangelium an, sagt unser und vorderhand immer
noch Euer Synodalrat. Da können wir nicht offen genug sein.
* Wie wollten wir von Gottes Güte reden - Gott, deine Güte
reicht so weit der Himmel ist und Deine Wahrheit, soweit die
Wolken gehen, wenn wir nicht über den eigenen Zaun
hinausschauen, regional, kulturell, aber auch religiös und
theologisch.
* Wie könnten wir die frohe Botschaft beanspruchen, wenn wir uns
Sorgen machen um uns selber, Sorgen auch um die Kirche. Sehet die
Lilien des Feldes, seht die Vögel des Himmels.
* Wer könnte durch all sein Sorgen die Kirchengeschichte oder
gar den Bestand de Kirche auch nur um einen einzigen Tag verlängern?
Die Ros ist ohn' warum,
sie blühet, weil sie blühet,
sie sorgt nicht ihrer selbst.
fragt nicht, ob man sie siehet.
* Wie wollten wir zum Leben etwas beitragen, wenn wir selber
nicht leben, froh und dankbar und engagiert? Ich lebe, und ihr
sollt auch leben.
Nach Ostern reden wir doch nicht von der Kirche, sondern von der
Auferstehung und dass wir in einem neuen Leben wandeln sollen.
Weil nun das neue Leben nicht nur unser Leben ist, sondern immer
auch das Leben und die Lebensweise unserer Mitmenschen, macht die
frohe Botschaft tolerant. Was siehst du den Splitter in deines
Bruders Auge. Es ist betrüblich, was wir im Namen des Evangelium
nun über 2000 Jahre lang aneinander konfessionell, strukturell,
theologisch und politisch an unserem Kirchenbild herumgeflickt
gehabt haben. Haben wir noch nicht gemerkt, dass die Toleranz aus
tiefstem Gottvertrauen kommt, aus Liebe zu Gott und den
Mitmenschen, von ganzem Herzen und ganzer Seele und mit aller
deiner Kraft? Darin besteht die wahre Humanität: Kind Gottes zu
sein und einander Mensch und Mitmensch. Ja, noch mehr gehört
dazu, die Ehrfurcht nämlich vor dem Leben überhaupt, die Liebe
zur Natur, zum Werk seiner Hände, als echt liberale Demut, zu
leben inmitten von Leben, das auch leben will.
Je grösser diese Offenheit, Freundlichkeit und Zuneigung zum
Leben sind, desto tiefer dann auch das Gottvertrauen, wo das
Leben beschwerlich und das Schicksal bedrohlich wird: Was dir
auch immer begegnet mitten im Abgrund der Welt, es ist eine Hand,
die dich segnet, es gibt den Arm, der dich hält.
Schliesslich auch die Hoffnung. Das Problem unserer momentanen
Welt liegt nicht in Planung oder Fehlplanung, nicht in
Errungenschaften und Gefahren, sondern in der grossen
Ratlosigkeit, in Burn-out und Bekümmernis. Viele Leute haben mit
ihrem Leben grosse Mühe. Die meisten werden mit 50 auf
Depression diagnostiziert, wo doch kein Spatz vom Dache fällt
und kein Haar von unserem Kopf, ohne der liebe Gott wüsste es
mindestens.
Wir werden deshalb doch wohl in der Seelsorge, schon gar nicht am
offenen Grab von der Kirche, sondern von Gottes unendlichem
Erbarmen reden. Und gerade weil jedes offene Grab auch offene
Fragen hinterlässt, ist die Gottesfrage wichtiger als die
Kirchenfrage, wie Hans Küng sagt.
Mit all dem will ich sagen, dass die Verkündigung als Auftrag
der Kirche eines ihrer drei Kennzeichen ist, sie selber aber als
Kirche nicht Inhalt und Gegenstand ihrer Verkündigung ist. Wir
predigen nicht uns selbst.
[2.] Gemeinschaft
Der zweite Auftrag der Kirche lautet: Gemeinschaft, griechisch
Koinonia, das was die Menschen verbindet, und nicht, was sie
trennt, oder kirchenrechtlich und kirchenleitend gesagt: Aufbau
der Gemeinde.
Mit Kononia ist gemeint, dass wir das, was wir als Kirche nach
aussen verkündigen: Gottvertrauen, Freiheit, Toleranz, Humanität,
Offenheit, Hoffnung, Lebenfreude und auch Kraft im Leiden, dass
wir das als Gemeinde selber untereinander erfahren und einander
gegenseitig unter Beweis stellen, und niemand dabei
ausschliessen, wie Christus sagt: Kommet her zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid, und wer das nicht ist, mühselig und
beladen, soll bitte jetzt gerade die Hand aufhalten.
Freilich, damit die Gemeinschaft nicht unter Insidern besteht,
die die andern zu Outsidern macht, ist das Kennzeichen der
Koinonia der Dialog, die Freiheit des Gedankens, ja sogar die
Glaubens- und die Gewissensfreiheit, weil man niemanden zum
Glauben zwingen kann, aber auch niemandem den Glauben abstreiten
darf. Nie glauben alle und nie glaubt niemand, und der Glaube
erweist sich dann als Gottvertrauen und nicht als Eigensinn, wenn
er auch an den Glauben der andern zu glauben wagt.
Damit bin ich bei der ökumenischen Gemeinschaft, und bei den
Religionen und Kulturen.
Nach dem Epheserbrief besteht die Einheit der Kirche und damit
ihre Gemeinschaft: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, und das Band
des Friedens nicht darin, dass alle auf die gleiche Art und Weise
glauben, sondern darin, dass Gott ein Gott ist, wie die Juden uns
im Schema' Israel seit Jahrtausenden lehren, ein Gott, der über
allen und bei allen und in allen ist. Entgegen allen
soziologischen Zugehörigkeitskriterien für Gruppen und Ethnien,
können wir gerade in der Gemeinschaft nicht offen genug sein.
[3.] Diakonie
Der dritte Auftrag ist die Diakonie.
Ein Vorbild habe ich euch gegeben, einander nicht den Kopf zu
waschen, sondern die Füsse, damit auch ihr tut, was ich euch
getan habe.
Ihr kennt den Stellenwert der sechs Barmherzigkeiten in der
Bilanz unserer Auftragserfüllung: Was ihr jemandem getan habt,
das habt ihr mir getan, und was ihr nicht getan habt, habt ihr
auch mir versagt. Ich messe euch nicht an Euren
Kirchenverfassungen und Protokollen, nicht an euren Resolutionen
oder Mitgliederzahlen, sondern an den Kranken und den Gefangenen,
an denen, die Hunger haben und Durst, an den Kleidern, die ihr
zur Verfügung stellt und an der Fremdenpolitik.
Weil nun Diakonie allerdings mehr ist als Almosen und Brot für
alle, verlangt die Dikonie eine kompetente Präsenz der Kirche in
der Gesellschaft und im sozialen Leben.
Diakonie ist ein politisches Mandat. Die Kirche bezeugt, dass das
Wort Gottes für alle Bereiche des öffentlichen Lebens, wie
Staat und Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur gilt. Sie bekämpft
daher alles Unrecht sowie jede leibliche und seelische Not und
ihre Ursachen, steht in der bernischen Kirchenverfassung, und der
Synodalrat präzisiert im Leitbild: Die gesamtkirchlichen Dienste
setzen sich dafür ein, dass die Kirche präsent ist, wo wichtige
gesellschaftliche und politische Entscheide fallen.
Diakonie ist aber auch ein Manat für die subsidiäre Einzelhilfe:
Die gesamtkirchlichen Dienste setzen sich auch dort ein, wo
Einzelne und Gruppen gesellschaftlich ausgegrenzt oder durch das
soziale Netz des Staates ungenügend getragen werden.
Diakonie ist schliesslich drittens ein gesamtkirchlicher Auftrag
und damit eine wichtige Dienstleistung an die Kirchgemeinden: Die
gesamtkirchlichen Dienste erkennen und erfüllen übergemeindliche
Aufgaben. Sie unterstützen Kirchgemeinden, kirchliche Bezirke
und Regionen.
Die Diakonie ist demnach sowohl eine Aufgabe jeder Kirchgemeinde.
Sie setzt aber gleichzeitig das Zusammenwirken voraus, überregional
und landeskirchlich, für die Spitalseelsorge und die Gefängnisseelsorge,
für kompetente Hilfe in Notfall und Katastrophen, in
Suchtfragen, Eheberatung, für Jugendliche, Aids-Kranke, für die
Dritte Welt, für all die ungezählten armen Menschen weltweit
und vor der Türe, für Menschenrechte und Gerechtigkeit, aber
auch für Integration in der Migration, für all das, werte Damen
und Herren, braucht die Kirche eine gesunde wirtschaftliche Basis.
Man darf nie nur auf der Einnahmeseite budgetieren, was wir als
Kirche allenfalls für uns brauchen, sondern was es braucht auf
der Ausgabenseite, damit wir als Kirche diakonisch handlungsfähig
sein, wirksam und verlässlich.
Das ist ja die grosse Sorge derjenigen Kirchen im Schweizerischen
Protestantismus, die über fast keine Mittel mehr verfügen, wie
Neuenburg oder Genf, aber auch vieler Kirchen in der Dritten Welt.
Dort wäre der Wille zu Verkündigung, Gemeinschaft und Diakonie
vorhanden, aber es fehlt an allen Mitteln.
Ich schliesse vorderhand ab. Ihr merkt, wie ich hoffe: Ich habe
Euch keine kirchenpolitische Rede gehalten. Mein Plädoyer für
die Kirche der Zukunft ist eine grosse Offenheit, die aus der
Besinnung auf ihren Auftrag und damit auf ihre Wurzeln kommt.
Aus diesen Wurzeln wächst nach Gottes Willen und Grosszügigkeit
ja dann oftmals auch etwas ganz anderes, als was wir erwarten,
zum Beispiel aus kleinstem Samen ein Senfbaum, so gross und weit
mit Platz für alle, und dann kommen allerhand Vögel daher und
nisten in diesem grossen Baum, und jeder baut sein Nest oder
"schlüft" in sein Vogelhäuschen und verteidigt auf
seinem Stängeli lautsingend sein Revier, im Glauben, sein Nest
oder sein Vogelhäuschen sei die Kirche, und verwechselt sein
kleines Reich mit dem Reich Gottes, und seinen Ast mit dem Baum,
und sein Pfeiffen oder Gschnäder mit Gottes Lob,
* wo doch erst das vielfältige gemeinsame Singen von Mensch und
Natur den Schöpfer lobt,
* wo doch die Einheit der Kirche gerade in der Vielfalt ihres
Christuszeugnisses besteht,
* und wo der Heilige Geist an Pfingsten die verschüpften Jünger
und hoffentlich auch uns aus den versteckten Löcher herausholt
zum öffentlichen Zeugnis.
Wir können nicht offen genug sein.
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