© Solothurner Zeitung / NMZ; 2001-02-16; Seite 1b
SOLOTHURN. Neuer Anlauf für die Schaffung einer
Evangelisch-reformierten Kantonalkirche: Jetzt liegt ein
Verfassungsentwurf zum Entscheid vor.
Am Samstagmorgen beraten die Synodalen der Verfassungssynode im
Kantonsratssaal den Verfassungsentwurf für eine reformierte
Solothurner Kantonalkirche. Ziel ist es, die heute bestehenden
drei verschiedenen Organisationen zusammenzufassen. Davon wären
primär im oberen Kantonsteil historisch gewachsene Bindungen zur
Berner Landeskirche betroffen. Der definitive Entscheid fällt am
10. Juni an der Urne.
Das Vorhaben ist erneut nicht unumstritten. Die «Neue Mittelland
Zeitung» bietet deshalb je einem Befürworter und einem Gegner
Gelegenheit für eine Standortbestimmung.
ums.
© Solothurner Zeitung / NMZ; 2001-02-16; Seite 11a
Region SO
Der Kanton Solothurn kennt derzeit keine umfassende Evangelisch-reformierte Kantonalkirche. Morgen Samstag verabschiedet die aus Vertretern der heute bestehenden drei Organisationen gebildete Verfassungssynode einen Verfassungsentwurf, der die Grundlage für eine künftige reformierte Kantonalkirche bilden soll. Am 10. Juni 2001 werden die reformierten Stimmberechtigten im Kanton das letzte Wort in dieser Sache haben. Das Vorhaben ist nicht unumstritten. Nachfolgend kommen je ein Befürworter und ein Gegner mit ihren Argumenten zu Wort.
PRO: Hans Stricker
In der ganzen Schweiz sind die reformierten Kirchgemeinden in
Kantonalkirchen zusammengeschlossen - nur in Solothurn nicht. Die
Gründe liegen in der Geschichte: Der Stand Bern, der die hohe
Gerichtsbarkeit über den Bucheggberg inne hatte, sorgte dafür,
dass der evangelische Glauben auch in der Gegenreformation
erhalten blieb. Dafür und für alle geistige und materielle
Unterstützung, welche wir von der Berner Kirche erfahren haben,
sind wir dankbar.
Die Solothurner Reformierten sind heute erwachsen genug, ihr
Geschick in die eigenen Hände zu nehmen. Das bedeutet, dass die
Organisationsstrukturen den gegenwärtigen Erfordernissen
anzupassen sind. Heute haben wir im Kanton drei kirchliche
Organisationen mit zum Teil sich überschneidenden Funktionen:
1. die «Kirche im Kanton Solothurn», zu der die (14
Kirchgemeinden des unteren Kantonsteils gehören;
2. die «Bezirkssynode Solothurn», welche die acht
Kirchgemeinden des oberen Kantonsteils umfasst und Teil der
Berner Kirche ist;
3. der «Verband der reformierten Synoden», dem alle
Kirchgemeinden des Kantons angehören.
Unser Ziel lautet: Aus drei Organisationen soll eine werden -
eine Kantonalkirche, welche die Aufgaben und Kompetenzen der
bisherigen Organisationen integrieren wird. Das brächte viele
Vorteile wie schlanke Strukturen: Gegen 80 Funktionen werden
hinfweniger ällig. Für Leitung und Verwaltung braucht es viel
weniger Leute - BehWeiter örden und Kommissionen, weniger
Protokolle, weniger Sitzungsgelder. erhalten die Reformierten ein
repräsentatives Organ, das die Interessen der Kirchgemeinden
gegenüber Öffentlichkeit und Staat wahrnimmt. Die
Kantonalkirche mit Synode und Kirchenrat tritt als handlungsfähiger
Partner im Dialog mit den Schwesterkirchen und den benachbarten
Kantonalkirchen auf.
Mit 80 000 Gemeindegliedern würde die Solothurner Kantonalkirche
vergleichsweise zu den mittelgrossen gehören. Eine Finanzanalyse
zeigte auf, dass für die Dienste, die heute im Bereich Seelsorge
und Unterricht geleistet werden, die finanziellen Mittel
vorhanden sind. Drei unabhängige Wirtschaftsexperten kamen zum
Schluss, der definierte Leistungsauftrag sei mit den vorhandenen
Geldern finanzierbar. Grössere Aufgaben (im Bereich Aus- und
Weiterbildung) müssen vermehrt über die Kantonsgrenzen hinaus
gelöst werden. Das nur auf das eigene Wohl bedachte Denken ist
den Befürwortern der Kantonalkirche fremd. Sie begrüssen es,
wenn benachbarte Kantonalkirchen in grösseren Synodalverbänden
zusammenarbeiten. Solothurn soll dort als eigenständiger und
nicht schwacher, dreifach geteilter Partner auftreten.
Eine Solothurner Kirche wäre ein weiteres Bindeglied, das den
kantonalen Zusammenhalt fördern könnte. Mindestens zweimal im
Jahr träfen sich die Vertreter der Kirchgemeinden von Dorneck
bis Aetingen, von Schönenwerd bis Grenchen zur Lösung
gemeinsamer Aufgaben. Das verbindet. Die Devise der Befürworter
lautet: Schlanke, kostengünstige Strukturen, effizient
arbeitende Organe und Solidarität im Kanton - darum Ja zur
Solothurner Kantonalkirche.
KONTRA: Christoph Knoch
Die Abstimmung am 10. Juni stellt die kantonsübergreifende
Identität der Reformierten des oberen Kantonsteils in Frage. Es
geht um weit mehr als äusserlich-organisatorische
Angelegenheiten.
Seit letzten Herbst steht am Mürlirank, wenige hundert Meter
neben der Strasse auf den Weissenstein, ein Kreuz aus den Stämmen
zweier Föhren. Der Blick reicht von dort über die Region, bis
weit ins Berner Oberland und ins Welsche. Kantonsgrenzen sind von
hier oben keine erkennbar. Im Vordergrund die Silhouette
Solothurns. Nein, die Stadtkirche kannte Johann Ludwig Lindt,
Cousin Gotthelfs und erster reformierter Pfarrer Solothurns, noch
nicht. 1835 war die erste reformierte Kirchgemeinde ausserhalb
des Bucheggbergs entstanden. Seither sind viele Berner zugezogen,
haben ihren Glauben mitgebracht, sich in eigenständigen
Kirchgemeinden organisiert. Die Bindungen sind geblieben. Die
neue Berner Kirchenordnung (1990) verschafft den besonderen
Solothurner Erfahrungen in Unterricht und Ökumene Gehör.
Solothurner Eigenheiten werden auch nach dem 10. Juni für jene
Gemeinden geregelt, die im Synodalverband Bern-Jura bleiben.
Die Berner Kirche stellt sich als weltoffene Such- und
Weggemeinschaft aktuellen Fragen der Gesellschaft. Sie trägt die
weltweite und ökumenische Dimension von Kirche und Christentum
in die Gemeinden und steht für theologische Weite und Vielfalt.
Ideen und Inhalte wachsen nicht von selbst, sondern sind auf
solche Impulse von aussen angewiesen. Gewachsene Beziehungen und
eine gut funktionierende Kirchenstruktur dürfen nicht aufs Spiel
gesetzt werden durch eine auf wackligen Füssen stehende
Kantonalkirche. 550 000 Franken fliessen jährlich von
Solothurner Kirchgemeinden nach Bern, davon sind 350 000 Franken
für den Kirchenbund, das HEKS, Bausubventionen in Solothurner
Gemeinden und die Verwaltung bestimmt. Mit 200 000 Franken werden
die kirchlichen Ämter für Bildung und Beratung, Unterricht, Ökumene,
Wirtschaft und Drogenfragen unterstützt, deren Dienste heute
alle Gemeinden beanspruchen können. Die Kantonalkirche sieht nur
für den Unterricht namhafte Gelder vor.
Die Finanzen sind mit Unbekannten behaftet, wie zwischen den
Zeilen des Finanzgutachtens der Initianten zu lesen ist. Wenn nur
eine Gemeinde nicht mitmacht, reicht das Geld nicht. Aus dem
unseriösen Motto «Wir sind billiger!» wurde «Wir schaffens
mit den gleichen Finanzen.» Da bleibt kein Spielraum für
Unvorhergesehenes, mit dem eine Kantonalkirche rechnen müsste.
Vieles, was bisher von Bern kam, soll künftig extern eingekauft
werden, im Budget sind dafür 25 000 Franken vorgesehen - ein
massiver Leistungsabbau. Eine Kirchgemeinde, die mehr möchte
muss extra bezahlen.
Der Kanton Solothurn besteht aus mehreren Regionen. Auf
politischer Ebene werden Kooperationen über Grenzen angestrebt.
Hier kann die reformierte Kirche wegweisend sein, da sie seit
Jahren diese Zusammenarbeit über die Kantonsgrenze hinaus
praktiziert. Eine Kirche der Nordwestschweiz mit dem Aargau, den
beiden Basel und Solothurn, wie sie etliche der Initianten
anstreben, macht Solothurn neu zur Randregion.
Erschienen in S Z am 16-Feb-2001 auf der Seite Region
Solothurn