Mai 01
10. Juni: Abstimmung übers Solothurner Kirchendach
Der Abstimmungskampf zur Gründung einer Solothurner
Kantonalkirche hat begonnen. Was bringt ein Ja, was verhindert
ein Nein? Ein Gespräch mit Samuel Feldges und Andreas
Zeller.
Samuel Feldges ist Lehrer in Solothurn und im Nebenamt Präsident des Verbandes der evangelisch-reformierten Synoden im Kanton Solothurn. Er wohnt in Biberist und befürwortet das Kirchendach. |
Andreas Zeller ist Pfarrer in Münsingen (BE) und nebenamtlicher Synodalrat der Kirche Bern-Jura und in dieser Funktion zuständig für die acht Solothurner Gemeinden der Bezirkssynode Solothurn. |
«Bei einem Ja würden das Zusammengehörigkeitsgefühl
und der Respekt für die verschiedenen Regionen, die als
Willenskanton zusammenleben, gestärkt.» Samuel Feldges |
«Für einen Verbleib bei Bern sprechen die lange
gemeinsame Geschichte, die hohe Autonomie der
Kirchgemeinden und das grosse Angebot der Berner Kirchen.» Andreas Zeller |
Die Gründung einer Solothurner Kantonalkirche ist schon
einmal, nämlich 1984, am Widerstand der Kirchgemeinden im oberen
Kantonsteil gescheitert. Warum schon wieder ein neuer Anlauf,
Herr Feldges?
Samuel Feldges: Dass wir nach rund zwei
Jahrzehnten wieder abstimmen, hängt damit zusammen, dass die
Kirchgemeinden der Bezirkssynode befürchteten, dass sich die
Kirche im Kanton enger mit Aargau und Baselland zusammenschliesst.
Der Anstoss kam also aus dem oberen Kantonsteil. Man muss wissen,
dass der untere Kantonsteil zwar finanzstark, mit seinen 35 000
Mitgliedern aber eine kleine Kirche ist und sich darum
langfristig verstärken möchte, um alle anfallenden Aufgaben bewältigen
zu können.
Empfinden sie diesen neuerlichen Versuch nicht als Zwängerei,
Herr Zeller?
Andreas Zeller: Es ist in der Tat auffällig,
dass keine 20 Jahre nach der letzten eine weitere Abstimmung über
die Bühne gehen wird. Klar ist, dass nicht der Synodalrat der
reformierten Kirche Bern-Jura diesen Prozess ausgelöst hat. Aber
als kirchliche Oberbehörde jener acht Kirchgemeinden im oberen
Kantonsteil, die dem Synodalverband Bern-Jura angehören, haben
wir diesen Prozess begleitet und auf die Einhaltung
demokratischer und juristischer Regeln geachtet. Wir haben uns um
Transparenz bemüht damit die reformierten
SolothurnerInnen ohne Druck abstimmen können! , und wir
haben interveniert, wenn es uns nötig schien. Insbesondere die
ursprünglich vorgesehene Ansetzung des Abstimmungstermins auf
den 26. November 2000 haben wir in Frage gestellt.
Jetzt sind aber alle Vorarbeiten soweit abgeschlossen, der
Urnengang kann unserer Meinung nach korrekt über die Bühne
gehen.
Sie sind mit den Vorarbeiten auch zufrieden, Herr Feldges?
Feldges: Ja. Sie beweisen, dass die neue
Kantonalkirche lebensfähig und stark sein wird. Zugegeben, das
Tempo war schnell. Dieses Tempo konnten wir durchhalten, weil
Verfassungssynode und Arbeitsgruppe gut gearbeitet haben.
Die Berner Kirche ist gross und hat eine lange Tradition. Mit
der Gründung einer Solothurner Kantonalkirche würde sie einige
Untertanen verlieren. Schmerzt das?
Zeller: Wir haben die Mitglieder der acht
oberen Gemeinden der Bezirkssynode Solothurn nie als Untertanen
erlebt, auch nie so verstanden. Wir verlieren also keine
Untertanen. Dass die acht Gemeinden zum Synodalverband Bern-Jura
gehören, hat ja geschichtliche Gründe: In der Reformationszeit
kam der Bucheggberg unter bernische Schirmherrschaft, weil in
Solothurn die Gegenreformation Oberhand gewann. Später dann, im
19. Jahrhundert, im Zeitalter der Industrialisierung, sind durch
die Zuwanderung bernischer Arbeitskräfte die Kirchgemeinden
entlang des Jurafusses entstanden.
Noch eine Bemerkung zur Grösse. Es ist tatsächlich so, dass
Bern rund einen Drittel der reformierten Bevölkerung in der
Schweiz stellt und dementsprechend gut organisiert ist. Wir dürfen
mit Stolz darauf hinweisen, dass wir ein gut ausgebautes Angebot
an kirchlichen Fachstellen und SpezialistInnen im Bereich der
Finanzen, des Rechts und der Koomunikation haben. Es ist
allgemein bekannt, dass das Preis-Leistungsverhältnis gut ist:
Wir bieten diese Dienste den Kirchgemeinden zu einem recht günstigen
Betrag an.
Wird die neue Kantonalkirche den Kirchgemeinden ein
vergleichbares Angebot an Leistungen machen können?
Feldges: Wir haben nicht im Sinn, alle
Dienstleistungen selber anzubieten. Das könnten wir als künftige
mittelgrosse Kirche auch nicht. Wir werden mit Bern, Basel, Zürich
und Aargau über mögliche Angebote verhandeln müssen. Wir haben
bereits Angebote aus Zürich für die Kirchgemeinden im unteren
Kantonsteil.
Wir sind ein Kanton der Regionen. Wir im oberen Teil sind stark
mit Bern verbunden, das Schwarzbubenland mit Basel, das Niederamt-Olten
mit dem Aargau. Es macht darum Sinn, wenn wir den Protestantismus
im Kanton stärken, gleichzeitig aber mit anderen Kantonen
zusammenarbeiten.
Nennen Sie drei Gründe, warum eine Solothurner
Kantonalkirche Sinn macht.
Feldges: Wir möchten aus drei Organisationen
eine machen, mit einfachen und unkomplizierten Strukturen, und
dabei rund 80 Funktionen einsparen.
Wir möchten die Einheit des Kantons stärken und die reformierte
Verantwortung im Kanton übernehmen. Wie ein Kind, das selbständig
wird. Man muss deshalb nicht Krach bekommen mit den Eltern oder
der Mutterkirche. Man übernimmt Verantwortung und wird Partner
als erwachsenes Kind.
Der untere Kantonsteil und das Schwarzbubenland sind die
finanzstarken Regionen das heisst, das Geld fliesst heute
Aare aufwärts. Der obere Teil ist mit 45 000 Mitgliedern stärker.
Beide Teile können sich darum mit einem Zusammengehen ergänzen.
Herr Zeller, sehen Sie Gründe, die für oder gegen eine neue
Solothurner Kirche sprechen?
Zeller: Sie verstehen sicher beide, dass es
nicht an uns in Bern ist, den Solothurnerinnen und Solothurnern
eine Stimmempfehlung abzugeben. Wir haben zwar eine Stellungnahme
geschrieben, aber keine Stimmempfehlung. Wir respektieren die
Autonomie der acht Solothurner Kirchgemeinden in hohem Masse
weil wir eben keine Untertanen oder Kinder kennen aus
unserer Sicht, sondern gleichberechtigte Partner, die wir ernst
nehmen möchten.
Es ist für Bern einsichtig, dass eine einzige Kirche ihre
Vorteile hat. Aber für einen Verbleib bei Bern sprechen die
lange gemeinsame Geschichte, die hohe Autonomie der
Kirchgemeinden und das grosse Angebot der Berner Kirche. Nach
vielen Gesprächen mit VertreterInnen der Kirchgemeinden aus dem
oberen und unteren Teil habe ich zudem den Eindruck gewonnen,
dass die BefürworterInnen unterschätzen, was es heisst, eine
Kirche mit 80 000 Mitgliedern zu führen.
Reden Sie von den Finanzen? Die vorgelegten Zahlen und
Budgets sind ja heiss umstritten, und die oberen Kirchgemeinden
bezahlen Geld in die Kasse des Berner Synodalverbandes: Die
Berner verlieren mit einem Ja also nicht nur Mitglieder, sondern
auch Geld
Zeller: Wir erhalten von den acht Gemeinden
jährlich rund 560 000 Franken. Davon sind 350 000 Franken reine
Durchlaufposten (Schweizerisch Evangelischer Kirchenbund SEK,
Reformierte Medien etc.). Von diesem Betrag fliesst aber auch
Geld in die Gemeinden zurück, etwa in Form von Bausubventionen.
Die restlichen 200 000 Franken werden für unsere Fachbereiche (OeME,
Migration, Erwachsenenbildung u.a.) verwendet. Die Kirchgemeinden
wiederum profitieren von diesen Fachstellen und unseren
Spezialisten ganz konkret.
Herr Feldges, Sie sind guten Mutes, was die Finanzen der
neuen Kantonalkirche betrifft?
Feldges: Ich denke, dass wir heute die Berner
Kirche mit diesen rund 200 000 Franken subventionieren. Früher
war es umgekehrt: Früher haben wir von den Bernern finanziell
und geistig mehr bekommen. Heute sind wir finanziell stärker.
Wir haben eine Umfrage bei den Gemeinden gemacht, welche
Leistungen sie benötigen. Wir sind zuversichtlich, dass wir
diese Leistungen erbringen und bezahlen können. Wir haben ein
recht gutes Polster, weil der Verband, der hauptsächlich vom
Finanzausgleich der juristischen Personen lebt, im vergangenen
Jahr einen Überschuss von 150 000 Franken gemacht hat. Dieses
Jahr wird es sogar noch mehr. Wir sind für zusätzliche
Leistungen also gut abgesichert.
Woher also Ihre Bedenken, Herr Zeller?
Zeller: Ich stütze mich dabei auf den
Bericht der Experten. Für zusätzliche Öffentlichkeitsarbeit,
Weiterbildungsaktivitäten oder die Einführung von Spezialämtern
sind beispielsweise keinerlei Finanzmittel vorgesehen laut
Expertenbericht müssten zusätzliche Leistungen durch
Kirchgemeinden bezahlt werden. Zudem geht man im Budget von der
Annahme aus, dass alle acht Gemeinden der neuen Kantonalkirche
beitreten.
Feldges: Wir rutschen nicht in ein finanzielles
Abenteuer. Wir werden beispielsweise weiterhin mit den
bestehenden Kirchenpublikationen zusammenarbeiten, wir brauchen für
die Öffentlichkeitsarbeit also keine zusätzlichen Mittel. Ganz
klar müssen wir für den Internet-Auftritt zusätzliche Mittel
sprechen.
Dass, wie Sie sagen, die Finanzen der neuen Kirche nicht
gesichert sind, wenn nicht alle Gemeinden mitmachen, sehe ich
anders. Das kantonale Steuergesetz schreibt nämlich vor, dass 3/5
des Finanzausgleichs direkt auf die Kirchgemeinden verteilt wird,
2/5 sind für kantonale Aufgaben bestimmt. Fast die Hälfte der
Finanzen der neuen Kirche werden aus den 2/5 des Finanzausgleichs
kommen. Es ist ganz klar, dass die Gemeinden, die bei Bern
bleiben, vom Finanzausgleich nicht mehr in gleicher Weise
profitieren können wie bisher, beispielsweise für
Bausubventionen, aber auch für Dienstleistungen.
Diesen Gemeinden wird also der Geldhahn abgedreht?
Feldges: Sinn des Finanzausgleichs ist ja,
den Zusammenhalt der verschiedenen Regionen dieses Kantons zu stärken.
Zeller: Tatsache ist, dass die Kirchgemeinden,
die beim Berner Synodalverband bleiben, immer noch Solothurner
Gemeinden sind und weiterhin Anspruch auf Solothurner
Steuergelder haben. Über die Verteilung der Mittel aus dem
Finanzausgleich muss deshalb gründlich nachgedacht werden.
Wer gewinnt, wenn die reformierten SolothurnerInnen Ja sagen?
Feldges: Ganz klar Solothurn: Das
Zusammengehörigkeitsgefühl und der Respekt für die
verschiedenen Regionen, die als Willenskanton zusammenleben,
werden gestärkt. Zudem profitieren die unteren und oberen
Kirchgemeinden. Die finanziell starke, kleine Kirche im Kanton,
die bis heute alle Aufgaben einer Kantonalkirche mit nur wenigen
Leuten erfüllt, wird auf mehr MitarbeiterInnen zählen können.
Und der obere Kantonsteil kann weiterhin mit den Finanzen des
unteren Teils rechnen. Wir können uns also ergänzen.
Und wer verliert bei einem Nein?
Feldges: Ebenfalls Solothurn. Es wird
geschwächt, und die Reformierten im Kanton werden noch mehr
zersplittert. Die finanziellen Auswirkungen müssen besprochen
werden.
Zeller: Ich möchte mich von den Begriffen
Gewinnern und Verlierern distanzieren. Innerkirchlich sind das
Ausdrücke, die wir nicht brauchen. Für das einzelne
Kirchenmitglied wird sich mittelfristig nicht viel ändern. Die
Sonne wird am 10. Juni untergehen und am 11. Juni wieder aufgehen.
Wie geht es weiter nach dem 11. Juni bei einem Ja?
Zeller: Dann geht die Arbeit erst richtig
los. Ein Ja bedeutet, dass die Mehrheit der Stimmenden sowohl im
unteren als auch im oberen Kantonsteil der neuen Kantonalkirche
zugestimmt haben. Im oberen Teil entscheidet zudem jede
Kirchgemeinde einzeln über ihre Zukunft: Jene, die der neuen
Kantonalkirche zustimmen, nehmen Abschied vom Synodalverband Bern-Jura,
jene, die ablehnen, bleiben bei uns.
Ich bin froh, dass Äusserungen von einzelnen Anhängern der
Kantonalkirche, bei einem allfälligen Nein würden der
Beauftragte für Unterricht und der Psychiatrieseelsorger sofort
entlassen, nicht mehr gemacht werden. Schnellschüsse sind nicht
gefragt, genügend Geduld und Besonnenheit und sicher viele
Verhandlungen werden nötig sein. Wir werden zuerst die Lage
analysieren und uns auf eine Übergangszeit von vielleicht zwei,
drei Jahren einigen müssen. In dieser Zeit müssen die Verhältnisse
neu geregelt werden.
Sicher ist, dass wir die bei Bern verbleibenden Gemeinden unterstützen
werden. Für uns wird sich nicht viel ändern.
Feldges: Bei einem Ja ist nach dem 11. Juni eine
Synode geplant, die einen Kirchenrat wählt, eine Kirchenordnung
und die Strukturen der neuen Kirche ausarbeitet. In der
Zwischenzeit gelten die bisherigen Rechte und Pflichten. Es ist
ganz klar, dass Qualität und Rechtssicherheit in dieser Übergangszeit
nicht auf der Strecke bleiben dürfen.
Fusionen ziehen fast immer Entlassungen nach sich
Feldges: Bei einem Ja werden wir alle
bisherigen Dienste weiterführen. Wir werden sogar eher ausbauen.
Was die Ehrenamtlichen betrifft, sieht es anders aus. Ich freue
mich, wenn ich mich überflüssig machen kann.
Anders bei einem Nein. Ich hoffe, dass die Gemeinden den
Unterricht und die Spezialseelsorge (Gehörlose, Gefangene,
Psychiatrie) weiterführen können denn der Verband hat
keine Rechtsgrundlage, diese innerkirchlichen Dienste weiterzuführen.
Wir sind am Ende des Gesprächs: Sie haben beide einen Wunsch
frei
Zeller: Ich hoffe, dass der begonnene
Prozess weitergeht. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten hat er
sich gut entwickelt. Ich habe viele SolothurnerInnen und auch den
Kanton Solothurn besser kennen gelernt. Ich wünsche mir darum,
wie auch immer die Abstimmung ausgeht, dass die künftigen
Verhandlungen in diesem Sinne weitergehen.
Feldges: Die neue Kantonalkirche wird eine
mittelgrosse Kirche sein. Ich wünsche mir, dass sie ein
anerkannter Gesprächspartner für den Staat, die Gesellschaft
und die Schwesternkirchen werden wird und sie ihr politisches
Gewicht und ihre Verantwortung für reformiertes Denken
wahrnehmen kann.
Gespräch: Judith Stofer