Neue Zürcher Zeitung, 30. Mai 2001 - Inland - Kantonale Volksabstimmungen vom 10. Juni
Historische Bindungen an Bern stehen zur Disposition
Die evangelisch-reformierten Solothurner Stimmberechtigten entscheiden am 10. Juni über die Gründung einer Kantonalkirche. Das Verfahren spiegelt die in der Geschichte wurzelnden komplizierten Verhältnisse. Sie führen dazu, dass der obere Kantonsteil auch über die Lösung vom Synodalverband Bern-Jura befindet. Dort wird zudem die Frage kontrovers beurteilt, ob ein solches «Kirchendach» überhaupt erforderlich ist.
kfr. Solothurn, 29. Mai
Für das Zustandekommen der Kantonalkirche sind die Zustimmung
der Synode der Evangelisch-Reformierten Kirche im Kanton
Solothurn (unterer Kantonsteil) einerseits und der Bezirkssynode
Solothurn (oberer Kantonsteil) anderseits erforderlich. Die
vierzehn Kirchgemeinden im unteren Kantonsteils bilden eine
Einheit und treten nur als Ganzes bei. Für die acht
Kirchgemeinden im oberen Kantonsteil gilt hingegen eine besondere
Bestimmung: Eine Gemeinde, die zustimmt, tritt mit diesem
Entscheid aus der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons
Bern aus, wer nicht zustimmt, behält die geltende Ordnung bei.
Gemeinsamkeit auf kantonaler Ebene
Das Abstimmungsverfahren ist nötig, weil die Verhältnisse aus
historischen Gründen kompliziert sind. Die rund 50 000
Reformierten in den Amteien Solothurn-Lebern und Bucheggberg-
Wasseramt gehören als Bezirkssynode Solothurn zur bernischen
Landeskirche, während die rund 30 000 Reformierten in den
Amteien Thal-Gäu, Olten-Gösgen und Dorneck-Thierstein die
eigenständige Kirche im Kanton Solothurn bilden. Beide
Organisationen sind derzeit nur im Verband der evangelisch-reformierten
Synoden vereinigt, der den ganzen Kanton umfasst.
Nun soll aus den drei Institutionen eine einzige entstehen, die
Evangelisch-Reformierte Kirche des Kantons Solothurn. Sie wurde
von einer Verfassungssynode mit 40 Abgeordneten vorbereitet, die
am 22. Januar 2000 erstmals zusammengetreten war. Das Vorhaben
Kantonalkirche richte sich gegen niemanden, schreiben die
Initianten. Es gehe um eine neue Gemeinsamkeit auf kantonaler
Ebene, um die Einheit in den Beziehungen und Verbindungen mit
anderen Kantonalkirchen in der Schweiz. Man trage damit auch
einem jahrzehntelangen Wunsch Rechnung. Allerdings war 1984 ein
erster Anlauf gescheitert.
Mit der am 17. Januar 2001 einstimmig verabschiedeten Verfassung
zeigen die Solothurner Reformierten, wie sie das kirchliche Leben
in Eigenverantwortung regeln wollen; zugleich legen sie ein
Bekenntnis zur Zusammenarbeit ab. Die Verfassung wird ergänzt
durch die Grundzüge der Kirchenordnung. Zu den Finanzen wird
festgehalten, dass mit der Schaffung der Kantonalkirche kein
Abenteuer eingegangen werde; man habe die erforderlichen Mittel für
alle in einem Leistungsauftrag definierten Aufgaben.
Opposition der «Berner» Kirchgemeinden
Widerstand gibt es namentlich im oberen Kantonsteil. Die «Offene
Kircheninformation Solothurn», in der fünf der acht
Kirchgemeinden vertreten sind, lehnt die Kantonalkirche ab. Sie
werde finanziell nicht in der Lage sein, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Überdies seien die Beziehungen zu Bern über Jahrhunderte
gewachsen. Der Synodalverband Bern-Jura erinnert an eine
Resolution vom Dezember 2000, die zwar einer «eigentlichen
Liebeserklärung» an die Kirchgemeinden der Bezirkssynode
Solothurn gleichkomme, aber ihre Autonomie und die
Entscheidungsfreiheit respektiere. Wer die Kantonalkirche
verwerfe, sei im Synodalverband weiterhin willkommen.
30. Mai 2001
Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG